"Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht
darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen."
George Orwell
Dies
soll kein Blog sein, dazu fehlt die Regelmäßigkeit. Es ist eher ein
Block, eine Art Notizblock. Eine kleine Ecke in meinem
journalistischen Wirken, in der ich Themen aufgreife, die nicht zu
meinem üblichen Arbeitsspektrum gehören. Über meine Kernthemen
werde ich weiterhin in den bekannten Medien schreiben, doch manchmal
gibt es eben auch anderes über das sich ein paar Worte zu schreiben
lohnt. Anderes als Energie und Umwelt, als Wirtschaft und Technik.
Zum Beispiel die Medien und deren Rolle in der Gesellschaft – was
mir naturgemäß auch nahe liegt.
Und
noch etwas wird hier anders sein als in meinen sonstigen Beiträgen.
Ich werde hier auch die Ich-Form nutzen. In journalistischen Texten
finde ich diese oft aufdringlich, mitunter gar peinlich (okay, das
sehen immer mehr Kollegen anders, aber da pflege ich die alte
Schule…). Doch hier will ich mir die Ich-Form gönnen, weil es eben
auch persönliche Notizen sind.
Dezember
2018
Ich
gestehe, ich kannte Claas Relotius bislang nicht. Nie bewusst
gelesen, diesen Namen. Und dabei kenne ich viele Kollegen – eine
ganze Reihe persönlich aus meinen Zeiten in diversen Redaktionen,
noch viel mehr vom Telefon durch viele Jahre der Zusammenarbeit, und
natürlich unzählige aufgrund ihrer Texte in den unterschiedlichsten
Zeitungen und Magazinen.
Als
der Fälschungsskandal beim Spiegel aufflog, habe ich den Namen
Relotius erstmals bewusst wahrgenommen. Und auch seine Geschichten.
Mir wurde schnell klar, warum ich den Namen nicht kannte: Seine Texte
sind von jener Machart, deretwegen ich vor drei Jahren mein
Spiegel-Abo gekündigt habe. Unabhängig vom Wissen um den
Wahrheitsgehalt der Relotius-Machwerke waren mir Texte dieser Art
schon immer suspekt. Man könnte sie kitschig nennen.
Sie
sind oft nicht mehr als die sprachliche Perfektionierung des
Aufsatzthemas aus der Grundschule, das da lautet: „Mein jüngstes
Ferienerlebnis.“ Sie decken nichts auf, sie analysieren und
erklären nichts, sie bieten schlicht kein intellektuelles Futter in
einer immer komplexer werdenden Welt. Sie erzählen nur, bleiben in
Gefühlswelten verhaftet. Oft geschmeidig zu lesen, durchaus. Aber
gerne auch zu geschmeidig im Sinne einer vermeintlich guten Weltsicht,
dabei mitunter unerträglich dick auftragend. Zum Beispiel schrieb
Relotius am 9.7.2016 von zwei syrischen Kindern, zehn und elf Jahre
alt, denen im Traum Angela Merkel erscheint. Mit Verlaub: Was soll
der Quatsch? Ich bitte Sie! (War natürlich alles erfunden.) Wer so
schreiben möchte, sollte Schriftsteller werden, nicht Journalist.
An
solcher Effekthascherei muss dann auch eine hausinterne Dokumentation
scheitern. Sie ist deswegen definitiv nicht das Problem im
Relotius-Skandal. Zumal die Dokumentation beim Spiegel – so meine
persönliche Erfahrung – ihre Arbeit gewissenhaft erledigt. Ich
habe einige Texte für den Spiegel geschrieben, habe das Prozedere
kennengelernt, habe jeweils vor Drucklegung mit den Dokumentaren –
mal per Telefon, und auch in der Hamburger Redaktion – intensiv
diskutiert. Die Faktenprüfer waren oft lästig, aber genau das zu
sein, ist ja ihre Aufgabe.
Kritik
an der Spiegel-Dokumentation lenkt also nur ab. Zu kritisieren ist
alleine ein allenthalben um sich greifendes Textgenre, nämlich
Reportagen voller journalistischer Eitelkeit, die so rund sein
müssen, wie es die Wirklichkeit eben in der Regel nicht ist. Zu
kritisieren ist ein Journalismus, der sich nicht mehr als solides
Handwerk begreift, sondern als exaltierte Kunstform, und damit gerne
ins Belanglose abdriftet.
Die
notwendige Konsequenz aus dem Fall Relotius ist daher vor allem
diese: Journalismus muss wieder bodenständiger werden. Guter
Journalismus liefert nicht filmreife Erzählungen, die sich jeder
Nachprüfbarkeit entziehen. Guter Journalismus interagiert mit
seinen Lesern, indem diese zum inhaltlichen Korrektiv werden. Wer
handfeste Nachrichten aufarbeitet, wird bei groben inhaltlichen
Fehlern von der Schwarm-Intelligenz der Leser wieder auf die richtige
Spur gebracht.Er kann gar nicht so dreist fälschen.
Wer
hingegen in großem Stil Fiktion auftischen kann, ohne dass dies den
Lesern auffällt, belegt nur, wie irrelevant seine Texte jenseits der
Sprachästhetik in Wahrheit sind. Wer derart Irrelevantes schreibt,
sollte sich nicht Journalist nennen. Wer es druckt, nicht
Nachrichtenmagazin.
März 2020 „Es
ist schädlich, wenn jetzt politische Journalisten sagen, wir machen
das, was wir immer machen. Wir traktieren Politiker mit
einer
Dringlichkeitshaltung. (…)
Deswegen ist es gut, wenn hier vielleicht nicht mehr so versucht
wird, in diesem normalen Berichtsmodus des politischen Journalismus
zu agieren, sondern wenn auch politische Journalisten versuchen, mehr
wie Wissenschaftsjournalisten zu arbeiten. Mehr mit Hintergrund und
mit ein bisschen mehr Ruhe.“
Christian
Drosten, Virologe an der Charité in Berlin im NDR Podcast am
13.3.2020 über das Coronavirus
Danke
für dieses Plädoyer für einen unaufgeregten
Wissenschaftsjournalismus. Dieser kommt in der Tat in den Redaktionen
oft zu kurz. Dabei
ist er
heute
wichtiger denn je.
Dazu
ein Gedanke: Die Welt wird immer komplexer, und damit werden es auch
die journalistischen Themen.
Aktuell
geht es um das Coronavirus, wann anders geht es um den Klimawandel
oder das Glyphosat, es geht um Industrie 4.0 oder um Target2-Salden.
Nur: In vielen Redaktionen dominieren die Geisteswissenschaftler.
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