„Ohne zu
schreiben, kann man nicht denken;
jedenfalls nicht in
anspruchsvoller, anschlussfähiger Weise.“
Niklas
Luhmann (1927 - 1998)
An dieser Stelle gibt es immer einen Text, der über die Tagesaktualität hinaus reicht, der kommentierenden/analysierenden Charakter hat und bereits irgendwo erschienen ist.
Diesmal: Aus der Silvesterbeilage der Badischen Zeitung, 2019
Warum die Klimadebatte immer aufgeregter wird
Nüchtern
betrachtet war es der PR-Gau. Soeben hatte Sven Giegold,
Europaabgeordneter der Grünen, in Straßburg noch für die
Deklaration eines "Klimanotstands" gestimmt, zugleich das
Gegenvotum vieler Christdemokraten als "ganz traurig"
bezeichnet – um sodann, wie die Bild-Zeitung herausfand, nonchalant
den Flug nach Berlin anzutreten.
Das
Netz war in Aufruhr – natürlich. Schnell war auf Twitter der
Hashtag #Fliegold kreiert, im Gegenzug wurde die Bild-Zeitung der
"Hetze" geziehen – ein Schlagwort, das im Netz heute
jedes missliebige Urteil trifft. Und sofort waren auch wieder andere
peinliche Flugbiografien diverser Klimaaktivisten aufgewärmt.
Willkommen
im deutschen Herbst 2019, in Zeiten der Klimaaufgeregtheit. Scheinbar
aus dem Nichts kam sie über das Land, denn faktisch hat sich wenig
Neues ergeben in den letzten Jahren.
Die
Wucht des Klimawandels war der Welt schon im Oktober 2006 bewusst,
als der Weltbank-Chefökonom Nicholas Stern einen dramatischen Report
publizierte (den der Spiegel mit dem – klar – alarmistischen
Titel "Achtung Weltuntergang!" darbot). Es war damit also
vor 13 Jahren schon alles gesagt, was man über die Bedrohung durch
die steigenden CO2-Werte in der Atmosphäre wissen muss. Dennoch
blieb es bis 2018 ruhig an der Demo-Front.
Wenn
sich nun an der grundsätzlichen Faktenlage in einem ganzen Jahrzehnt
wenig geändert und dennoch die gesellschaftliche Debatte komplett
gewandelt hat, stellt sich die Frage: Warum? Es war die junge
Schwedin Greta Thunberg, die durch ihre konsequente Art, garniert mit
drastischen Worten, die Initialzündung lieferte für eine Bewegung,
die zuvor nicht so recht zusammenfand. So kam es zu "Fridays for
Future".
Wobei
zugleich ein Personenkult um Greta entstand, der einerseits zwar die
Akteure zusammenschweißte, andererseits aber auch Kritiker
beflügelte. Als dann – oh weh – der Kabarettist Dieter Nuhr es
tatsächlich wagte, Greta höchstselbst durch den Kakao zu ziehen,
wenngleich mit eher flauen Gags, empfanden das einige Klimabewegte
schon als eine Säkularform der Blasphemie.
Lautet
die Gretchenfrage doch längst: "Wie hältst Du’s mit dem
Klimaschutz?". Denn das Bekenntnis dazu ist mittlerweile heilige
Pflicht in der guten Gesellschaft – entsprechend aufgeladen die
Stimmung. Dabei geht es kaum noch um klimatologische Fakten (die
beklemmend sind, fürwahr). Auch kaum noch darum, wie eine soziale
Marktwirtschaft angesichts der Dramatik am besten gegensteuert.
Entfacht ist vielmehr ein Kampf Gut gegen Böse. Ein Kampf
derjenigen, die sich im Lichte der "Klimagerechtigkeit"
sonnen, gegen solche, die – was für eine bizarre Wortschöpfung –
als "Klimaleugner" tituliert werden. Politische Debatten
werden eben oft mit Unworten geführt.
Zugleich
arbeiten sich andere, die nach dem vielfach deklarierten
"Klimanotstand" schon freiheitswidrige Notstandsgesetze
fürchten, an der neuen Morallehre ab. "Ersatzreligion
Klimaschutz" titelte im März die Wirtschaftswoche. Kurz zuvor
hatte die Schweizer Weltwoche gar eine "neue Sonnenreligion"
ausgemacht, um diese süffisant mit "Sancta Greta" als
Heiligenikone zu illustrieren.
Auslöser
solcher Vorbehalte gegen den Klimaaktivismus dürfte auch die bizarre
Melange der Protagonisten sein. Klar, die Systemveränderer von
links, die schon den Atomwiderstand in den Siebzigern und Achtzigern
weitgehend vergeblich zu kapern versucht hatten, sind wieder dabei.
Es finden hier ferner "Omas gegen rechts" ein Publikum, man
verquirlt das Ganze zudem mit Genderfragen, und selbst die
Organisation Islamic Relief Deutschland, die laut Bundeszentrale für
politische Bildung über "deutliche personelle und ideologische
Verflechtungen zur Muslimbruderschaft" verfügt, macht sich
plötzlich für Klimaschutz in Deutschland stark.
Da
fragt man sich schon, wie lange der Klimaprotest im neuen Jahrzehnt
anhalten kann, weil eine Bewegung, die zu einem Sammelbecken der
Befindlichkeiten einerseits, zum Resonanzraum von Partikularinteressen andererseits geworden ist, ziemlich fragil ist.
Zeit
also, den Klimaschutz mehr mit der Nüchternheit der Ökonomie zu
betrachten. Klingt dröge, trifft aber den Kern: Wo externe Kosten,
in diesem Fall verursacht durch CO2-Emissionen, nicht internalisiert
werden, entstehen Fehlallokationen. Soll heißen: Wer Kohlendioxid
ausstößt, sollte die Schäden auch bezahlen – man nennt das
schlicht: Verursacherprinzip. Werden die Kosten von Umweltschäden,
wie heute Usus, hingegen der Allgemeinheit aufgebürdet, kommt es zu
Fehlentwicklungen. Damit wäre dann auch schon alles gesagt, die
politische Leitplanke des Klimaschutzes definiert. Und tatsächlich
besticht Fridays for Future hier durch eine Konkretheit, die versöhnt
mit den oft diffusen Slogans auf den Demos: Die Bewegung propagiert
einen CO2-Preis von 180 Euro pro Tonne.
Damit
erkennt plötzlich auch die Wirtschaft die Relevanz des Themas. Der
britische Economist, traditionell unaufgeregt, brachte im September
eine bemerkenswerte Schwerpunktausgabe an die Kioske mit der
Titelzeile: "The climate issue". Ein Wortspiel. Man kann
das als "Klima-Problem" lesen, oder als "Klima-Ausgabe".
Unterdessen
geht Fridays for Future mit zwei Kuriositäten ins neue Jahrzehnt.
Für die eine können die Schüler nichts: Erstmals in der Geschichte
reagieren Erwachsene auf eine Jugendbewegung mit Umarmung. Ausgang
ungewiss.
Heikel
für die Glaubwürdigkeit ist vielmehr der zweite Punkt. Wenn
Elterntaxis, gerne auch SUVs, vor den Schulen anrollen um jene
Jugendliche abzuliefern, die sich am Freitag zur Weltrettung
aufmachen, passt das nicht zusammen. Ebenso, wenn die
demonstrierenden Schüler bei ihrer nächsten Klassenreise in den
Flieger steigen. "Global denken, lokal handeln" hieß einst
der charmante Slogan der Umweltbewegung. Ob es gelingt, diesen neu
mit Leben zu füllen, dürfte über den Erfolg von Fridays for Future
entscheiden. Die Maxime steht einerseits für Stringenz im
persönlichen Verhalten (Greta selbst lebt es vor) und andererseits
für den Blick auch auf die politischen Defizite vor Ort. Zum
Beispiel sind viele Schulen im Land energetisch in erbärmlichem
Zustand.
Seien
wir doch realistisch: Nur Pappschilder zu tragen, auf denen – so
richtig wie unverbindlich – steht, dass es "keinen Planet B"
gibt, dürfte sich ziemlich schnell totlaufen.